Keine Bürger zweiter Klasse

5,8 Millionen Doppelstaatler sind unverzichtbar für unsere Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Alabali-Radovan,
sehr geehrte Frau Behrens,
sehr geehrter Herr Fechner,
sehr geehrter Herr Grote,
sehr geehrter Herr Herrmann,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Krings,
sehr geehrte Frau Dr. Launert,
sehr geehrte Frau Lindholz,
sehr geehrter Herr Lechner,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Poseck,
sehr geehrter Herr Schuster,
sehr geehrter Herr Stegner,
sehr geehrter Herr Throm,
sehr geehrte Frau Warken,
sehr geehrte Frau Wegge und
sehr geehrter Herr Wiese,

Ihre Parteien haben im Sondierungspapier angekündigt, zu prüfen, ob Doppelstaatlern in nicht näher definierten Fällen von Extremismus die Staatsbürgerschaft entzogen werden kann. Dieser Vorschlag ist ein Standortrisiko für Deutschland. Denn mit einem solchen Vorschlag sprechen Sie rund 5,8 Millionen Deutschen mit einer weiteren Staatsbürgerschaft (Zensus 2022) ein grundsätzliches Misstrauen aus und machen sie zu Bürgern zweiter Klasse. Die Pläne im Sondierungspapier zum Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft senden ein fatales Signal: Sie verunsichern Doppelstaatler in Deutschland, schrecken internationale Fachkräfte ab und gefährden damit unsere wirtschaftliche Stärke.

Deutschland ist ein Einwanderungsland und muss das auch zukünftig bleiben. Unsere wirtschaftliche Stärke beruht auch darauf, dass Menschen zu uns kommen, partizipieren und beitragen. Dazu zählen die sogenannten Gastarbeiter, die unseren historischen wirtschaftlichen Aufschwung mitgetragen haben. Darunter sind Menschen, die in zweiter und dritter Generation hier leben. Dazu zählen aber auch Menschen, die aktuell einwandern, als Ärzte, Pflegekräfte, IT-Spezialisten oder Ingenieure. Das alles sind Menschen, die als Fachkräfte, Unternehmer oder Gründer täglich zu unserer Wirtschaftskraft beitragen.

Viele Fachkräfte spielen längst mit dem Gedanken, Deutschland zu verlassen. Eine Erhebung zeigt, dass fast jede vierte Person mit Migrationshintergrund erwägt, Deutschland den Rücken zu kehren (DeZIM 2024). Das Institut der Deutschen Wirtschaft sagt dazu klar: Diese Abwanderung ins Ausland gilt es zu vermeiden (IW 2024a). Statt diesen Menschen ein pauschales Misstrauen auszusprechen und in die Ecke von Extremismus zu rücken, sollten wir jetzt das unmissverständliche Signal senden: Ihr seid Teil von Deutschland!

Deutschland ist inzwischen längst kein so begehrtes Ziel mehr für internationale Talente, Fachkräfte und Gründer. Gleichzeitig beträgt die benötigte Nettozuwanderung jährlich 400.000 - 500.000 (IW 2024b). Die positiven Ansätze des Sondierungspapiers beim Staatsbürgerschaftsrecht, u.a. den Abbau bürokratischer Hürden, Digitalisierung und eine schnellere Anerkennung von Berufsqualifikationen unterstützen wir ausdrücklich. Doch all das wird konterkariert, wenn gleichzeitig ein Klima des grundsätzlichen Misstrauens gegenüber Menschen mit zwei Staatsbürgerschaften geschaffen wird.

Zudem sieht das derzeitige Staatsangehörigkeitsgesetz bereits Regelungen vor, z.B. bei Beteiligung an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Nicht näher definierte Fälle von Extremismus daneben zu stellen, wäre systematisch befremdlich – und dürfte vor dem Hintergrund von Art. 16 GG letztlich unverhältnismäßig sein. Führende Juristen zweifeln daher die Verfassungsmäßigkeit dieses Vorhabens an und stellen überdies die Vereinbarkeit mit grundlegenden völker- sowie unionsrechtlichen Prinzipien in Frage.

Ihr Anliegen, Extremismus entschieden auf breiter Basis zu bekämpfen, befürworten wir voll und ganz. Die Ausweitung gesetzlicher Möglichkeiten zum Entzug der Staatsangehörigkeit ist allerdings der falsche Weg. Denn zum einen ist Extremismus ein gesamtgesellschaftliches Problem und kein spezifisches Problem von Doppelstaatlern. Zum anderen birgt die Schaffung eines solchen Instruments massives Missbrauchspotenzial, insbesondere mit dem Erstarken der AfD und ihrer Möglichkeit, Einfluss auf die Ernennung von Richtern zu nehmen. Wir haben die historische Verantwortung, dass der Entzug der Staatsangehörigkeit oder dessen Androhung nicht erneut als politisches Machtinstrument geschaffen wird.

Deshalb fordern wir Sie auf, die Möglichkeiten des Entzugs der Staatsangehörigkeit nicht auszuweiten und nicht in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Stattdessen sollten das Staatsangehörigkeitsrecht, die Visavergabe und die Verwaltungsprozesse weiter modernisiert werden, um Deutschlands Attraktivität für bereits hier lebende und zukünftige Fachkräfte zu erhöhen.

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